Bauen ohne Abfall: Cradle to Cradle in der Immobilienbranche
Im Herbst, wenn die Blätter der Bäume sich verfärben und auf den Boden fallen, wird deutlich, dass es so etwas wie Abfall und Verschwendung in der Natur nicht gibt. Denn der aus den Blättern entstehende Humus dient als Nahrung für andere Organismen, was wiederum im Frühling dabei hilft, neue Blätter entstehen zu lassen. Dieser Kreislauf ist das Vorbild für das Prinzip des “Cradle to Cradle”.
Angelehnt an die Kreisläufe in der Natur entwarfen der deutsche Chemiker Michael Braungart und der US-amerikanische Architekt William McDonough in den 90er Jahren das Prinzip des Cradle to Cradle. Dieses wird oft als “C2C” abgekürzt und kann als „vom Ursprung zum Ursprung“ übersetzt werden.
Dabei werden Cradle to Cradle-Produkte bereits bei der Entstehung so konzipiert, dass eine Wiederverwertbarkeit gewährleistet wird. Anders als beim Recycling sollen Materialien ohne Qualitätsverlust immer wieder für dieselbe Ware wiederverwendet werden: Aus einem Teppich entsteht erneut ein Teppich und aus dem Holz eines Hauses ein neues Haus.
C2C ist die Vision einer abfallfreien Wirtschaft, bei der auch soziale Gerechtigkeit bei der Rohstoffgewinnung eine zentrale Rolle spielt. So wird auch die soziale Seite geprüft. Insgesamt erhofft man sich also durch diesen Ansatz, dass keine gesundheits- und umweltschädlichen Materialien mehr verwendet werden und dass alle Stoffe dauerhaft Nährstoffe für natürliche Kreisläufe oder geschlossene technische Kreisläufe sind.
Sich wandelnde Nutzerpräferenzen, stetig steigende technische Anforderungen oder voranschreitender Innovationsdruck sorgen dafür, dass sich Immobilienlebenszyklen immer mehr verkürzen. Da die Immobilienbranche einen erheblichen Anteil an den gesamten nationalen CO2-Emissionen verursacht, wird die Zukunftsfähigkeit verstärkt an der Berücksichtigung von Trends bemessen, die die wirtschaftliche Nutzbarkeit von Immobilien verlängern.
Standards und Zertifizierungen von nachhaltigen Immobilienprojekten
Ressourcenknappheit, demografischer Wandel und zunehmende ökologische Anforderungen stehen beispielhaft für Faktoren, die sich neben vielen weiteren langfristig auf die Zukunftsfähigkeit, den Wert und die Rendite von Immobilien auswirken. In allen Bereichen der Immobilienwirtschaft wird neben neuen gesetzlichen Vorgaben oder sich wandelnden Nutzeranforderungen (Stichwort Barrierefreiheit, Smart home etc.) auch die Umweltverträglichkeit zu einer festen Einflussgröße:
Angefangen bei Investitions- über Vermietungs- hin zu Finanzierungsentscheidungen. Die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Nachhaltigkeitsorientierung zur Sicherung von Wettbewerbsvorteilen ist längst erkannt und in eine Vielzahl von Standards, z.B. für Zertifizierungsvoraussetzungen, einbezogen worden.
Bei den großen Immobilieninvestoren Europas findet inzwischen Nachhaltigkeit im Sinne von ESG (Umwelt, Soziales, Unternehmensführung) in allen Produktkategorien und Investitionsentscheidungen Berücksichtigung. Es bedeutet verantwortungs-bewusstes Anlegen, wobei Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungs-Kriterien gemeinsam mit Risikofaktoren und finanziellen Kennzahlen in einen kontrollierten und strukturierten Anlageprozess einfließen. Die unternehmerische Verantwortung basiert auf drei Säulen: „Fiduciary Duty“, „Intergenerational Responsibility“ und „Active Stewardship“. Risiken und Chancen in den Investitionsentscheidungen werden als treuhänderische Pflicht gegenüber Kunden, Investoren und Aktionären berücksichtigt (Fiduziar duty). Ökologische und soziale Aspekte kommen im Rahmen von Klimaschutz-Maßnahmen zum Tragen (Intergenerational Responsibility) und Verantwortung wird aktiv übernommen – für die nachhaltige Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft (Active stewardship).
Bis zum Jahr 2050 werden rund sechs von zehn gewerblichen Immobilien über 40 Jahre alt sein. Im Rahmen einer Investitionsplanung für einzelne Objekte ist die Marktgängigkeit zentral, also die Möglichkeit, die Immobilie nach einer gewissen Haltezeit wieder am Markt veräußern zu können. Genau hierin zeigt sich die Abhängigkeit von bereits heute als Standard geltenden ESG-Kriterien, nur dass die Umfänglichkeit dem künftigen „state of the art“ wohl nur noch ansatzweise entspricht.
Schon jetzt reicht es nicht mehr aus, Nachhaltigkeit primär auf rein ökologische Anforderungen zu beschränken. Künftig werden bei Neubauten auch Aspekte wie Klimabeständigkeit (Resilienz) von Immobilien stärker in die Planung mit einfließen. Auch die Flexibilität bei der Bauweise und den Baumaterialien sowie die frühzeitige Integration von Maßnahmen zur Erreichung übergeordneter Klimaziele können die Verlängerung der wirtschaftlichen Nutzbarkeit einer Immobilie positiv beeinflussen. Flexibel nutzbare Räume mit Sitz-Steh-Arbeitsplätzen, loungeartigen Pausenbereichen und aktiven Besprechungsräumen sind hiernach bei der Planung genauso zu berücksichtigen wie die Anpassungsfähigkeit in punkto Deckenhöhe, Raumabmessungen, Möbel etc. Bei Neubauten und Sanierungen relevant ist auch die Umweltverträglichkeit der verwendeten Baustoffe, deren Herstellung und Transport (von der Produktion zur Baustelle) genauso wie eine Vielzahl (technischer) Neuerungen in der Gebäudeausstattung. Insbesondere die Idee so genannter Netto-Nullgebäude erscheint in der Immobilienwirtschaft als zukunftsweisend in punkto Nachhaltigkeit.
Nicht nur die Nachfrage nach energieeffizienten Gewerbeimmobilien steigt bei Investoren und Mietern stetig, sondern ebenfalls die Zahl von Benchmarking-Initiativen wie z.B. GRESB (Global Real Estate Sustainability Benchmark). Sie sorgen für mehr Transparenz und Vergleichbarkeit. Solche Zertifizierungsmaßnahmen machen den Faktor Energieeffizienz zu einem wesentlichen Instrument der Wertschöpfung: Über das Erreichen eines ökologischen Nutzens wird mit Geldeinsparungen eine Werterhöhung von Vermögenswerten erzielt.
Bei den vielbeachteten «Principles for Responsible Investment» (PRI) handelt es sich um ein internationales Investoren-Netzwerk. Alle Unterzeichner verbindet die Verpflichtung zur Umsetzung gemeinsamer Grundsätze für verantwortungsbewusstes Investieren und zur jährlichen Veröffentlichung von Transparenzberichten. Ein weiteres Qualitätsmerkmal ist das GRESB-Rating als globale Benchmark für die Immobilienwirtschaft. GRESB ist das führende Bewertungssystem zur Messung der Nachhaltigkeitsperformance von Immobilienunternehmen und Immobilienfonds. In der Gewichtung von sieben unterschiedlichen Aspekten entsteht der sogenannte GRESB Score, der wesentlich zur Transparenz der Immobilienwirtschaft in Nachhaltigkeitsfragen beiträgt.
Im Jahr 2017 haben über 850 Immobilienunternehmen und Immobilienfonds am GRESB Rating teilgenommen. Diese verwalteten zusammen ein Vermögen von 3,7 Billionen US-Dollar. Bewertet werden nicht etwa das Kapitalmarktumfeld der Immobilienwirtschaft wie bei PRI (Principles for Responsible Investment) oder das Performancepotenzial einzelner Immobilien wie bei LEED oder BREEAM, sondern Fonds und Unternehmen. Zur Bewertung wird die Nachhaltigkeitsperformance der einzelnen Immobilien abgefragt, um diese dann anschließend auf Portfolioebene zu aggregieren.
Neben dem Blick auf die Nachhaltigkeitsverantwortung gegenüber Investoren und Immobiliennutzern gilt es jedoch auch eine Verantwortung als Arbeitgeber der Immobilienbranche zu erfüllen. Fundierte Kompetenz in Nachhaltigkeitsthemen wird nicht nur für die Messbarkeit von Nachhaltigkeit z.B. in Form von Ratings oder Zertifizierungen bedeutsam. Auch das Fondsmanagement muss nachhaltig handeln, Mitarbeiter sind entsprechend zu qualifizieren, Geschäftsprozesse umzustrukturieren oder neue Transparenzrichtlinien in der Berichterstattung umzusetzen.